Atemreduktion

Atemreduktion

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Atemreduktion (auch: Atemkontrolle, englisch: Breath Control) ist ein Oberbegriff verschiedener BDSM-Praktiken, bei denen der Top die Atmung des Bottoms einschränkt bzw. kontrolliert. Im weiteren Sinn werden auch Praktiken unter diesen Oberbegriff geführt, bei denen die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn, nicht unbedingt aber die Atmung selbst eingeschränkt oder kontrolliert wird.

Motivation

Atemreduktionspieler führen oftmals die folgenden Gründe an, um Atemreduktion zu betreiben:

  • Ein starkes Machtgefühl für Top, auch über das Leben des Bottoms Kontrolle zu haben.
  • Die starke Ausgeliefertheit vom Bottom gegenüber Top, quasi eine Verstärkung von Bondage.
  • Ein daraus entstehendes Gefühl der extremen Intimität zwischen den Beteiligten, sozusagen mit der „letzten Grenze“ zu spielen.
  • Eine Art körperlicher Euphorie und Gefühl der Leichtigkeit, ausgelöst durch den Sauerstoffmangel im Gehirn.

Körperliche Auswirkungen

Physiologisch betrachtet gibt es zwei unterschiedliche Ansätze der Atemreduktion. Bei der einen wird der Nachschub an Sauerstoff zur Lunge reduziert, d.h. der Körper bekommt weniger, weniger frische oder keine Luft mehr. Bei der anderen wird die Atmung selbst nicht oder kaum beeinflusst, dafür aber die Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff reduziert.

Beides hat den Effekt, dass das Gehirn mit Sauerstoff unterversorgt wird. Dies führt zu einem euphorischen, rauschähnlichen Gefühl. Entsprechend ist auch die Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt. Ähnliche Effekte können beim Bergsteigen in hohen Höhen oder beim Tauchen auftreten, wobei insbesondere beim Bergsteigen die Reduzierung deutlich langsamer stattfindet.

Unabhängig von der angewandten Technik kann es direkt im Anschluss oder auch erst am nächsten Morgen zu Kopfschmerzen kommen. Diese sind meist desto größer, je heftiger die Einwirkung auf das Gehirn war.

Auch wenn sich der Körper innerhalb kurzer Zeit äußerlich von der Atemreduktion erholt, so dauert es doch oft deutlich länger, bis sich das Niveau im Blut und im Gehirn wieder normalisiert hat. Auch die Zurechnungsfähigkeit kann noch eine Weile eingeschränkt sein, es ist daher, ähnlich wie nach dem Genuss anderer Rauschmittel, davon abzuraten, anschließend z.B. aktiv am Straßenverkehr teilzunehmen.

Ob mehrfaches relativ kurz hintereinander folgende Atemreduktionen weitere Auswirkungen auf den Körper haben, ist nicht geklärt.

Luftreduzierung

In diese Kategorie fallen alle Techniken, die die Atmung beeinträchtigen. Also die Luftzufuhr bei Mund, Nase, Luftröhre oder Lunge reduzieren oder wie bei Atembeuteln die Zufuhr von Frischluft (Sauerstoff) abschneiden.

Hier nimmt der Sauerstoffgehalt im Gehirn relativ langsam ab. Selbst beim vollständigen Unterbinden der Atmung dauert es lange, bis der Sauerstoffvorrat in Lunge und Blut so niedrig ist, dass sich die Reduzierung im Gehirn bemerkbar macht. Die Euphorie stellt sich wenn überhaupt nur recht langsam ein.

Schon relativ früh versucht der Körper gegen den Luftmangel anzukämpfen und nach Luft zu schnappen. In der Lunge entwickelt sich das drängende Gefühl, tief einatmen zu wollen. Ähnlich wie man es vom Tauchen her kennt. Dieses Gefühl ist relativ dominant und kann im Zweifel von allem anderen ablenken.

Eine Reduzierung der Luftzufuhr senkt den allgemeinen Sauerstoffgehalt im Blut. Es wird also nicht nur das Gehirn, sondern auch der Rest des Körpers weniger mit Sauerstoff versorgt, so dass im Zweifel auch andere Organe beeinträchtigt werden können.

Reduzierung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn

Die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn wird in der Regel durch die Blutzufuhr zum Kopf geregelt. Es ist allerdings nicht ganz einfach sie zum Beispiel durch Würgen komplett still zu legen, so dass es in der Regel lediglich zu einer Reduzierung kommt.

Das Unterbinden der Blutzufuhr zum Gehirn (meist gekoppelt mit dem Unterbinden des Abflusses) führt zu einer relativ schnellen Reduzierung des Sauerstoffs im Gehirn. Je nach Einwirkung kann es also innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten zu besagtem Euphoriezustand kommen. Da dieser relativ schnell einsetzt, ist er oft stärker, als der Reflex sich gegen die Einwirkung zu wehren. Nach kurzer Zeit geht das ganze in einen Dämmerzustand über, der dann zur Bewusstlosigkeit führt.

Im Gegensatz zur Luftreduzierung ist hiervon aber größtenteils das Gehirn und wenig der restliche Körper betroffen, da die Atmung meist wenig beeinflusst wird. Das allgemeine Sauerstoffniveau im Blut bleibt dabei auch realtiv hoch, so daß dies für den restlichen Körper weniger belastend ist und auch das Gehirn rascher wieder mit Sauerstoff versorgt werden kann.

Ein besonderer Fall ist das Abdrücken der tiefer liegenden Adern. Diese liegen je nach Halswinkel relativ ungeschützt und können dadurch fast vollständig zusammengedrückt werden. Neben der einfachen Reduktion des Blutdurchflusses kann hier auch der Karotis-Sinus-Reflex ausgelöst werden.

Häufige Spielarten

Atemkontrolle durch Befehl

Die wohl einfachste Form der Atemreduktion ist, daß Top Bottom das Atmen bzw. das Anhalten des Atmens „befiehlt“.

Diese Methode ist insbesondere in einem D/s-Kontext reizvoll und relativ harmlos, da im Notfall der Körper des Bottoms Körper 'automatisch Luft holt. Denn der Atemreflex kann nur durch bewußte Konzentration unterdrückt werden und setzt beim Menschen automatisch ein, sobald der Sauerstoffgehalt im Blut sinkt. Sobald die Konzentration wegen einer (drohenden) Bewustlosigkeit nachläst, holt der Körper also selbst Luft. Dies ist vergleichbar mit der leeren Drohung von Kindern, so lange die Luft anzuhalten, bis etwas bestimmtes geschieht.

HOM

HOM ist die Abkürzung für Hand Over Mouth. Top hält mit einer oder beiden Händen sowohl die Nase als auch den Mund des Bottoms zu.

Facesitting

Top setzt sich auf das Gesicht des Bottoms. Dadurch wird die Atmung durch die Nase und den Mund unmöglich. Die Tatsache, dass Top das Gesicht des Bottoms nicht sehen und daher den Zustand von Bottom nur schwer registrieren kann, kann zu Problemen führen. Darum legt Top die Handflächen auf den Brustkorb des Bottoms, um über diesen Kontakt Herzschlag und evtl. auftretende Krämpfe frühzeitig zu erkennen.

Würgespiele

Hierbei wird der Hals des Bottoms stranguliert, entweder mit den Händen oder z.B. mit Seilen („Hängen“). Gefahren hierbei: Karotis-Sinus-Reflex.

Luftröhre zudrücken

Das Zudrücken der Luftröhre ist sozusagen die eine Urform der Atemreduktion. Hierbei wird die Luftzufuhr zum Körper direkt abgedrückt. Dies geschieht oft dadurch, daß Top unterhalb des Kehlkopf vorne um den Hals greift und nach dann Druck Richtung Nacken (der zumindest durch eine Hand gestütz sein sollte) ausübt.

Bei Bottom führt diese Technik leicht zu Hustenanfällen und viele Menschen empfinden es als unangenehmer, als das Abdrücken der Blutzufuhr zum Gehirn oder eine langsame Reduzierung der verfügbaren Atemluft.

Ein Reiz dieser Form besteht darin, dass sich hierbei die ganze Kraft und Stärke von Top beemerkbar macht.

Abdrücken der Halsschlagadern

Alternativ kann man am Hals auch, anstatt die Luft abzudrücken, die Blutzufuhr zum Gehirn unterbinden oder einschränken.

Insgesamt wirkt das Abdrücken der Blutzufuhr zum Kopf sehr viel schneller, als das Reduzieren oder Verhindern des Atems an sich und führt auch eher zu einem Rauschzustand.

Bagging

Hier wird eine luftundurchlässige, in der Regel durchsichtige Plastiktüte (englisch: Bag) über den Kopf des Bottom gestülpt und gegebenfalls mit Klebeband dicht verschlossen. Als Sicherheitsmaßnahme sollte Top auf jedenfall eine Schere bereit haben.

Eine Variante kann Frischhaltefolie sein, die um den Kopf gewickelt wird.

Ein Problem des Baggins ist, dass Top aktiv sein muss, um die Atmung des Bottoms wieder zu gewährleisten, während bei anderen Praktiken durch Passivität (z.B. bei Ohnmacht des Tops) die Atmung wieder frei wird.

Masken

Verschiedene Masken (z.B. Gasmasken) können die Atmung auch erschweren oder unmöglich machen.

Atmen durch Rohre

Eine weitere Atemreduktionstechnik ist durch mehr oder weniger lange und dünne Rohre zu atmen. Dadurch wird man im Zweifel gezwungen die gerade ausgeatmete Luft direkt wieder einzuatmen. Je länger und dicker' die Rohre sind, desto größer wird dabei der Anteil der alten Luft. Je mehr Volumen das Rohr hat, desto weniger frische Luft kommt an.

Untertauchen

Eine weitere Möglichkeit ist das Untertauchen oder fixieren von Bottoms Kopf oder Gesicht unter Wasser.

Die besondere Gefahr hierbei ist, daß sobald Bottom den Atemreflex nicht mehr unterdrücken kann (was spätenstens bei einer Bewustlosigkeit der Fall ist), Bottom ungewollt Wasser einatmet, was gefährlich werden und zum Ertrinken führen kann. Ebenfalls kann eingedrungene Flüssigkeit in die Lunge zu einer Lungenentzündung führen

Gefahren

Da bei Atemreduktion durchaus mit dem Leben des Bottoms gespielt wird, sind gerade hier Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig. Ganz besonders gefährlich sind autoerotische Atemreduktionsspiele, die in der Vergangheit häufig zum Tode geführt haben.

Kontroverse

Atemreduktion ist innerhalb Teilen der SM-Subkultur umstritten.

Contra

Einige SMer sind der Meinung, daß Atemreduktion per se nicht SSC sein kann, weil

  • Atemreduktion per se zu gefährlich sei, um es sicher zu betreiben. Jay Wiseman ist ein prominenter Vertreter dieser Argumentation.
  • der durch den euphorischen Rauschzustand hervorgerufene Kontrollverlust „unsane“ sei
  • man in den Tod oder schwere Gehinrverletzungen nicht wirklich einwilligen kann und gerade bei einer Bewusstlosigkeit auch nicht mehr Einwilligungsfähig ist („noncon“).

Es wird vereinzelt auch das Argument der Gefahr einer negativen Publicity für SM (insbesondere bei Fehlspielen durch „riskantere“ Praktiken wie Atemreduktion angesprochen.

Pro

Unter den Fürsprechern finden sich häufig Befürworter des RACK-Prinzips. Sie führen an, daß:

  • Bottom zumindest bis zur Bewustlosigkeit durchaus seine Einwilligung und z.B. durch das Fallenlassen eines Tokens auch jederzeit einen Abbruch signalisieren könne.
  • Es gäbe durchaus Praktiken, deren Risiken gut zu kontrollieren und die dadurch ähnlich gefährlich, wenn nicht sogar ungefährlicher als andere, allgemein akzeptierte Praktiken seien.
  • Ein Kontrollverlust nicht unbedingt eintreten müsse und er ja ansonsten gerade mit Ziel des Ganzen sei, er also bewusst (sane) angesteuert werde.

Desweiteren vergleichen sie Atemreduktions-Spiele gerne mit diversen allgemein anerkannten Sportarten (insbesondere Kampfsportarten, Bergsteigen und Tauchen) bei denen ähnliches praktiziert wird, ohne daß Probleme oder gesellschaftliche Ächtung bekannt wäre.

Entsprechende Debatten werden oft auf beiden Seiten sehr emotional geführt.